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Ausgabe 03/2012
Fossile Energien

Braunkohle für die Energiewende

Nur 15 Minuten braucht das neue Braunkohlekraftwerk in Grevenbroich-Neurath bei Köln, um seine Stromleistung um gut 1000 Megawatt herauf- oder herunterzufahren. Bei einer Flaute könnte das Großkraftwerk, das Mitte August in Betrieb ging, also mehr als 400 Windräder ersetzen – mit derselben Regelgeschwindigkeit wie modernste Gaskraftwerke. Diese enorme Flexibilität zusammen mit einem bisher unerreichten Wirkungs­grad von 43 Prozent macht die 2.200 Megawatt-Doppel­block­anlage zu dem derzeit modernsten Braunkohlekraftwerk weltweit. Mit 2,6 Milliarden Euro ist es eine der größten Investitionen in der Geschichte von RWE.


Die beiden neuen Kraftwerksblöcke in Grevenbroich-Neurath. (Foto: RWE AG)

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Der Betreiber wertet die neue Anlage als wichtigen Baustein der Energiewende; für NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft ist sie auf dem Weg zu einer Komplettversorgung aus erneuerbaren Stromquellen „energiepolitisch der richtige Schritt zum richtigen Zeitpunkt“. Umweltschützer jedoch protestieren: Greenpeace sieht in der Anlage „eine der größten CO2-Schleudern Europas“. Im RWE-Kraftwerkspark ersetze sie zwar kleinere Altanlagen, was den Kohlendioxid-Ausstoß – bei gleicher Stromproduktion – um jährlich sechs Millionen Tonnen senkt. Die verbleibenden 17 Millionen Tonnen pro Jahr seien jedoch „ein Desaster für den Klimaschutz“, so Greenpeace-Experte Gerald Neubauer: „Anstatt weitere Kohlekraftwerke zu bauen, muss die Regierung endlich den Ausstieg aus der Kohleverstromung beschließen.“


Bei gleichem Stromverbrauch wird die installierte Erzeuger-Kapazität bis 2050 stark wachsen (Grafik: IPP, Daten: dena)
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Dieser Ausstieg wird so bald allerdings nicht möglich sein, sagt die Deutsche Energie-Agentur dena. In ihrer gerade veröffentlichten Studie „Integration der erneuerbaren Energien in den deutsch-europäischen Strommarkt“ zeigt sie, dass voraussichtlich auch 2050 fossile Kraftwerke noch 60 Prozent der gesicherten Leistung stellen werden. Anders ließe sich die wachsende Strommenge aus erneuerbaren Quellen nicht in das Strom­system integrieren, wenn zugleich die Versorgung zuverlässig bleiben soll. Erneuer­bare Energien werden zwar 2050 über 80 Prozent des Stroms liefern, aber nur knapp 24 Prozent der gesicherten Leistung bereitstellen – der Leistung also, die jederzeit zur Deckung der Nachfrage verfügbar ist. Die restlichen 16 Prozent sichern Speicher und Importstrom ab.

Die dena-Studie entstand in Zusammenarbeit mit dem Institut für elektrische Anlagen und Energiewirtschaft der RWTH Aachen im Auftrag der RWE AG. Sie untersucht, wie sich das Stromsystem bis zur Jahrhundertmitte entwickeln müsste, um bei gleich bleibenden Rahmenbedingungen das Leitszenario des Bundesumweltministeriums zu erfüllen: über 80 Prozent Strom aus erneuerbaren Quellen bis 2050 – eine gewaltige Herausforderung. Denn bis dahin werden neben den Atomkraftwerken auch die meisten heute noch aktiven Kohle-, Gas- und Ölkraftwerke stillgelegt sein. Spätestens bis 2030 werden 49 Gigawatt an neuen fossilen Kraftwerken gebraucht. Ob sie gebaut werden, ist unklar, weil diese Kraftwerke wegen des Vorrangs der erneuerbaren Energien immer weniger Betriebsstunden haben und sich daher kaum noch rechnen.


Die erneuerbaren Energien werden bis 2050 erheblich ausgebaut. (Foto: Panthermedia)

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Immer öfter wird zudem mehr Strom erzeugt als nachgefragt, etwa wenn starker Wind und kräftige Sonneneinstrahlung mit niedrigem Verbrauch zusammenfallen. Bis 2050 können rund 15 Prozent der Jahresstromproduktion aus erneuerbaren Quellen weder im In- noch im Ausland genutzt werden. Als mögliche Gegenmaßnahmen wären die flexiblere Einspeisung aus Kraft-Wärme-Kopplungs­anlagen, zusätzliche Speicher oder stärkere Anpassung des Verbrauchs an die Erzeugung zu organisieren.

Trotz dieser zeitweisen Überschüsse werde Deutschland langfristig von Stromimporten abhängig, zeigt die Studie: Ohne zusätzliche Kraftwerke im Inland müsste ab 2050 jährlich rund ein Fünftel des verbrauchten Stroms aus dem Ausland kommen. Für diesen Importstrom wird neben dem bestehenden europäischen Verbundnetz ein zusätzliches Overlaynetz gebraucht, das viel Strom mit wenig Verlust über große Entfernungen transportieren kann. Zusätzlich müssen die Übertragungs- und Verteilnetze in Deutschland erheblich ausgebaut werden.

Nicht zuletzt wird die Stromversorgung laut dena in Zukunft erheblich teurer als heute – wegen der hohen Kosten für die viel größeren Erzeugungskapazitäten, den Aus- und Umbau der Netze, für Reserve- und Regelenergie, für die Anbindung der Offshore-Windparks und für Stromspeicher. „Die Energiewende“, so fasste kürzlich Bundes­umwelt­minister Peter Altmaier zusammen, „ist für Deutschland sicherlich die größte Herausforderung seit dem Wiederaufbau in der Nachkriegszeit“.

imi