Sonnenstrom für Marokko
Es ist schon eine paradoxe Situation: Betrachtet man das natürliche Angebot an erneuerbaren Energiequellen, ist Marokko steinreich: Alleine aus Sonne, Wind und Wasser könnte das Land sich komplett mit Strom versorgen, ja sogar Energie nach Europa exportieren. An konventionellen Energieträgern ist das Land bettelarm und muss 95 Prozent seiner Energierohstoffe importieren. Selbst Strom wird per Seekabel aus Spanien zugekauft. Kein Wunder also, dass König Mohammed VI seit Jahren den Ausbau erneuerbarer Energien vorantreibt. Bis 2020 sollen sie 42 Prozent des Stromverbrauchs decken. Wind- Solar- und Wasserkraftwerke sollen dann mit je 2.000 Megawatt Leistung zur Versorgung beitragen.
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Über eine halbe Million Spiegel fangen das Sonnenlicht ein. (Foto: KfW-Bildarchiv, Jens Steingässer)
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Anfang Februar nahm das Land eine wichtige Etappe auf diesem Weg. Der erste Teil des Solarkraftwerks Noor in der Region Ouarzazate ging in Betrieb. Noor wird – wenn alle vier Abschnitte realisiert sind – mit 580 Megawatt das größte solarthermische Kraftwerk der Welt sein. 1,3 Millionen Menschen sollen dann mit Solarstrom versorgt werden, rund 800.000 Tonnen Kohlendioxidemissionen könnte Marokko so einsparen. Der Ort für das Kraftwerk ist gut gewählt. In der Hochebene am westlichen Rand des Atlasgebirges liefert die Sonne rund 2.500 Kilowattstunden Energie pro Quadratmeter und Jahr. Selbst die sonnigsten Gegenden Deutschlands kommen auf nur die Hälfte dieses Werts.
Das größte Solarthermie-Kraftwerk der Welt
Noor I ist ein Parabolrinnenkraftwerk mit 160 Megawatt Leistung. Über 500.000 Parabolspiegel fangen das Sonnenlicht ein und fokussieren es auf Rohre, in denen synthetisches Öl zirkuliert und auf 393 Grad Celsius erhitzt wird. Das heiße Öl dient der Produktion von Wasserdampf, der eine Turbine zur Stromerzeugung antreibt. Um gut 100 Grad abgekühlt fließt das Öl zurück durch die Spiegelreihen und tankt erneut Sonnenwärme auf. Die meterhohen Spiegel sind auf einer Fläche von 450 Hektar in 400 Reihen mit je 300 Metern Länge angeordnet. Sie werden permanent dem Sonnenstand nachgeführt. Der Clou des Kraftwerks ist ein Flüssigsalztank, der die gewonnene Sonnenwärme über Stunden speichert. So kann Noor I am Abend, wenn die Marokkaner am meisten Strom verbrauchen, die Sonne aber nicht mehr so stark scheint, noch drei Stunden lang mit voller Leistung produzieren.
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Vom Satellit betrachtet: Solarkraftwerk Noor I am westlichen Rand des Atlasgebirges. (Foto: NASA Earth Observatory)
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Deutschland wichtigster Partner
Die Kosten für den gesamten Kraftwerkspark – Noor I bis Noor IV – belaufen sich auf etwa 2,2 Milliarden Euro. Die deutsche Regierung ist mit Krediten über 864 Millionen Euro wichtigster Partner. Die Mittel stammen von den Ministerien für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) und Umwelt (BMUB) sowie der Kreditanstalt KfW. Weitere Kreditgeber sind die Weltbank, die afrikanische Entwicklungsbank, die Europäische Investitionsbank, die französische Entwicklungsbank sowie die Europäische Kommission. Kreditnehmer ist die marokkanische Solaragentur MASEN. Gebaut wird Noor von einem Konsortium unter der Leitung des saudi-arabischen Projektentwicklers ACWA Power. Auch technisch sind deutsche Firmen beteiligt: Die Parabolspiegel produziert das ostbayerische Unternehmen Flabeg, das seit 2013 zu ACWA gehört. Siemens liefert die Turbinen, die Flüssigsalze kommen von der BASF.
Noor II und Noor III sollen 2020 ans Netz gehen
Seit Mitte 2015 laufen die Bauarbeiten für die beiden nächsten Kraftwerksabschnitte Noor II und Noor III. Beide sollen nach Angaben der KfW 2018 in Betrieb gehen. Noor II ist ein 200-Megawatt-Parabolrinnenkraftwerk, Noor III ein 150-Megawatt-Solarturm-Kraftwerk. Es besteht aus tausenden einzelner Spiegeln, die die Sonnenstrahlen auf die Spitze eines 240 Meter hohen Turms reflektieren und so ein Wärmemedium aufheizen. Noor II und Noor III werden ebenfalls mit Hilfe von Flüssigsalzspeichern am Abend noch einige Stunden Strom produzieren können. Derzeit laufen auch die Ausschreibungen für Noor IV, geplant ist eine 70-Megawatt-Photovoltaikanlage.
Christine Rüth