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Ausgabe 02/2003
Irakkonflikt

Interview
Blut für Öl?


Der Irak ist nach Saudi Arabien das Land mit den zweitgrößten Erdölvorkommen der Welt; insgesamt liegen in der Region des Persischen Golfs zwei Drittel der weltweiten Ölreserven. Dies lies zahlreiche Kommentatoren vermuten, ein wesentliches Motiv für den Irakkrieg sei die politische Kontrolle der Erdölvorräte gewesen. Hierzu sprach „Energie-Perspektiven“ mit Dr. Friedemann Müller, dem Leiter der Forschungsgruppe „Globale Fragen“ der Berliner Stiftung für Wissenschaft und Politik.

Energie-Perspektiven: Der These, es sei im Irakkrieg um „Blut für Öl“ gegangen, haben Sie in Ihren Veröffentlichungen entschieden widersprochen. Welche sind die wesentlichen Gründe?

Dr. Müller: Politik ist immer komplexer, als dass man sie in drei Worten beschreiben kann. Darin unterscheidet sie sich nicht vom wirklichen Leben. Die OPEC (Organisation Erdöl exportierender Länder) hat sich im Jahr 2000 von der Öffentlichkeit kaum bemerkt ein neues Kleid geschneidert. Sie hat sich erstens verpflichtet, Mengenbegrenzungen nicht für politische Ziele einzusetzen und zweitens, nach Möglichkeit den Ölpreis in einem Preiskorridor von 22 bis 28 Dollar pro Fass zu halten. Eine bessere Konstellation konnten sich die USA und die amerikanischen Ölfirmen, aber auch die Europäer nicht wünschen. Abgesehen davon, dass der Krieg ein Vielfaches gekostet hat und noch kostet, als die jährlichen Öleinnahmen des Irak selbst in fünf oder zehn Jahren versprechen, hat sich mit dem Krieg weder der Ölpreis verändert – er liegt jetzt wieder in dem OPEC-Korridor – noch die Versorgungssicherheit der USA verbessert, noch den USA zusätzliche Möglichkeiten geboten, anderen die Versorgung abzuschneiden.


Der Preis für ein Fass Rohöl von 1970 bis heute (Quelle: MWV)
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Energie-Perspektiven: Spielten also energiepolitische Überlegungen bei Befürwortern – und Gegnern – des Irakkrieges gar keine Rolle?

Dr. Müller: Natürlich wurden bei der Kriegsplanung ganz unterschiedliche Überlegungen angestellt, darunter auch die, ob ein militärischer Konflikt Einfluss auf den Weltölmarkt und die Energieversorgung hat: Die Menge, die Irak seit dem Golfkrieg 1991 zur Weltversorgung beigetragen hat, betrug auf dem Höhepunkt (im Jahr 2000) 3 Prozent der Weltproduktion und weniger als die Marge, die Saudi-Arabien an Produktion kurzfristig zulegen kann. Dazu kommt, dass die USA nur 13 Prozent ihrer Versorgung aus dem Golf bezieht und sich in Zukunft vermutlich noch stärker auf die Versorgung aus der eigenen Hemisphäre (Kanada, Mexiko, Venezuela) stützt. Dies liegt gleichermaßen in der Versorgungsicherheitspolitik und dem Bemühen um niedrige Transportkosten begründet. Insofern hat die Energiepolitik die Kriegsplanung nicht zentral beeinflusst.

Energie-Perspektiven: Bereits in den ersten Stunden des Krieges wurde das größte Ölfeld des Irak, Rumaila, und später zahlreiche weitere Förderstätten von amerikanischen Soldaten gesichert. Auch das irakische Ölministerium genoss ständigen Schutz. Warum?

Dr. Müller: Die USA befürchteten, dass Irak eine ähnliche Politik der verbrannten Erde verfolgen würde, wie 1991, als Hunderte von kuwaitischen Ölfeldern brannten und teilweise erst nach vielen Monaten gelöscht werden konnten. Wenn dem so ist, dass das Ölministerium besser geschützt wurde als zum Beispiel das berühmte Museum in Bagdad, halte ich dies für einen unentschuldbaren Fehlgriff. Es ist aber nie seitens der Amerikaner verschwiegen worden, dass die Öleinnahmen, „die dem irakischen Volk gehören“ (Colin Powell u.a.), möglichst schnell für den Aufbau des Landes genutzt werden sollen. Dazu benötigt man die im Ölministerium vorhanden Informationen.

Energie-Perspektiven: Die Geschichte des Irak im letzten Jahrhundert wurde stark durch das Erdöl geprägt. Könnten sie einen kurzen Überblick geben?

Dr. Müller: Wie bei den Nachbarn und Öl-Schwergewichten Saudi-Arabien, Iran und Kuwait spielten Öl und Islam die zentrale Rolle. Irak war jedoch im Vergleich zu Saudi-Arabien und nach der Revolution auch Iran ein säkularer Staat mit einem vergleichsweise ausgeprägten Mittelstand, bis Saddam an die Macht kam, dessen Bath-Partei die relativ entwickelte Gesellschaft zu strangulieren begann. Während die Ölproduktion in den 1970er Jahren (bis 3,5 Millionen Fass pro Tag) noch etwa den großen Reserven entsprach, ging diese nach dem Krieg 1991 auf 0,3 Millionen F/T zurück und baute sich im Rahmen der UN-Sanktionen nur langsam auf maximal 2,5 Millionen F/T wieder auf. Auch dadurch sowie die Korruption und das ineffiziente Wirtschaftssystem ist das Land verarmt.

Energie-Perspektiven: Anders als beim Jugoslawien-Konflikt waren vor dem Irak-Krieg die Stellungnahmen Chinas sehr verhalten. Deuten sich hier neue Allianzen an?

Dr. Müller: China ist, seitdem es 1993 zum Erdöl-Nettoimporteur wurde, in einem dramatisch wachsenden Tempo von Importen aus dem Golf abhängig. Es wird auch in Zukunft keine alternativen Anbieter geben, bei denen China seinen Bedarf decken kann. Die USA wiederum verfügen im Golf mit ihrer Flotte über eine unangefochtene Militärmacht – dies mindestens seit 1991. Damit können die USA jedem der vom Golf-Öl abhängig ist, den Ölhahn abdrehen. Für China ist dies besonders schmerzlich, weil es sich hierbei auf Dauer um ein machtpolitisch unauflösbares Problem handelt. Das einzige, was China bleibt, ist, dieses Thema totzuschweigen. Auch die USA sind nicht interessiert, darüber öffentlich zu reden. Es genügt, dass sie über dieses Instrument verfügen.

Energie-Perspektiven: Nachdem die 1991 verhängten UNO-Sanktionen nun aufgehoben werden, die den irakischen Ölexport stark eingeschränkt hatten, ist der Handel mit irakischem Öl wieder unbegrenzt möglich. Wie wird sich dies auswirken?

Dr. Müller: Irak ist Mitglied der OPEC, die Mitgliedschaft ruht allerdings seit 1991. Um die Wiederaufnahme als volles Mitglied wird verhandelt. Dabei geht es natürlich vor allem auch um die Einbindung des Irak in die Quotenregelung. Natürlich wird der Irak eine beträchtliche Erhöhung seiner Quote im Vergleich zur Produktion der 1990er Jahre fordern. Dies wird die OPEC zugestehen, da alle Prognosen der OPEC ohnehin einen wieder wachsenden Anteil an der Weltversorgung (zur Zeit 41 Prozent, Anstieg auf 50 erwartet) zurechnen. Doch wird hier um jedes Fass gefeilscht werden. Unabhängig vom Ausgang dieser Verhandlungen ist klar, dass Irak im Jahr 2004 nicht mehr als 2001, also ca. 2,5 Millionen F/T und 2010 nicht mehr als 5 Millionen F/T wird produzieren können, weil die Investitionen nicht schneller fließen werden und der Wiederaufbau der Infrastruktur viel Zeit in Anspruch nehmen wird. In den nächsten 15 Jahren kann Irak Saudi-Arabien als Ölproduzenten nicht einholen, selbst wenn es sich von allen OPEC-Zwängen befreit.

Energie-Perspektiven: Wird sich durch die jüngsten Ereignisse die Bedeutung der OPEC ändern?

Dr. Müller: Die OPEC hat sich seit ihrer Gründung in den 1960er Jahren mehrfach verändert: 1973 (erste Ölkrise) als sie zu einer Macht aufgestiegen ist, welche die westlichen Industrieländer in Angst und Schrecken versetzt hat, in der ersten Hälfte der 1980er Jahre, als sie mit ihrer Hochpreispolitik (der Iran-Irak-Krieg hat zu weiterer Ölknappheit geführt) alternative Anbieter hervorrief, deshalb Marktanteile verlor und ihr Instrument der Mengenbegrenzung aufgab, und schließlich 1999/2000 als sie dieses Instrument mangels alternativer Anbieter wieder aufnehmen konnte, sich diesmal aber im eigenen Interesse politisch und ökonomisch mäßigende Spielregeln auferlegte. Nunmehr ist es so, dass alle – Europäer und Amerikaner, multinationale Ölfirmen und andere Investoren – diese Politik begrüßen, weil sie Berechenbarkeit fördert. Insofern wird die OPEC derzeit von keiner Seite angegriffen. Da außerdem ihr Marktanteil an der Weltölversorgung steigt, wird sie ihre derzeitiger Bedeutung stabilisieren können.

Energie-Perspektiven: Welche energiepolitischen Konsequenzen ergeben sich – langfristig gesehen – aus den Ergebnissen des Krieges für die USA und die Länder Europas und Asiens?

Dr. Müller: Wenn nicht weitere destabilisierende Ereignisse in der Golfregion in Folge dieses Krieges hinzukommen, werden die Konsequenzen gering sein. Der Aufbau der Ölindustrie in Irak wie auch die gesamte wirtschaftliche Entwicklung wird langsamer voranschreiten als die meisten dachten und als dies im Sinne der Bevölkerung wünschenswert wäre. Iraks Beitrag zur Weltölversorgung wird in diesem Jahrzehnt unter 5 Prozent bleiben und deshalb keine dramatische Größenordnung erreichen. Der Streit der Multis um Aufträge wird sich angesichts des Risikos eines schlecht funktionierenden Staatswesens in Grenzen halten. Wenn aber der Aufbau eines Staatswesens dauerhaft misslingt, dann droht die Gefahr einer Destabilisierung der Region. Ein Ausfall von mehr Öl als das im Irak geförderte, also insbesondere des saudischen Öls, kann der Weltmarkt nicht verkraften. Dies würde eine weltweite Krise auslösen.

Energie-Perspektiven: Kann man aus dem Geschehenen Folgerungen ziehen für die Energieforschung und - entwicklung in den Industrieländern?

Dr. Müller: Die Irakkrise und der Krieg haben – zum Beispiel in Gestalt des bis März gestiegenen Ölpreises – vor Augen geführt, dass die Weltwirtschaft von keiner Belieferung so sehr abhängt, wie von einer stabilen Ölversorgung. Diese ist in hohem Maße mit der Region des Persischen Golfs verbunden. Die Reduzierung dieser Abhängigkeit würde zugleich der Reduzierung eines noch gefährlicheren Risikos dienen, nämlich dem drohenden Klimawandel. Der langfristig anzulegende Ausstieg aus der fossilen Energie ist die Herausforderung des 21. Jahrhunderts. Dazu braucht es einen Willen mit langem Atem und einen entsprechenden Druck auf die internationale Politik. Diese Zusammenhänge deutlich zu machen, kann durch die Energieforschung begünstigt werden. Das Ziel muss eine Energiestruktur sein, die auf fossile Energie verzichten kann.

imi


 

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