Alte Zechen wiederbelebt
Die Energiewende setzt darauf, fossile Stromquellen wie Kohle- oder Gaskraftwerke weitestgehend durch regenerative Quellen, zum Beispiel Solar- oder Windkraftanlagen zu ersetzen. Die dort erzeugten Strommengen unterliegen jedoch starken Schwankungen. Gefragt sind daher Technologien, mit denen sich überschüssige Energie effizient speichern und bei Bedarf wieder abrufen lässt.
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Planskizze des für 2021 geplanten Testsystems (Grafik: Gravitricity)
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Das junge, in Edinburgh ansässige Unternehmen Gravitricity Ltd hat hierfür einen ganz eigenen Ansatz entwickelt. Er basiert auf einem einfachen Prinzip: Wenn man einen Körper gegen die Schwerkraft nach oben bewegt, muss man Arbeit verrichten. Diese im Körper gespeicherte potentielle Energie wird bei seinem Absenken wieder freigesetzt.
Für die Realisierung dieses Konzepts wollen die sparsamen Schotten die oft mehrere hundert Meter tiefen Schächte stillgelegter Bergwerke nutzen. Dort hinein werden an Stahlkabeln gigantische Gewichte gehängt, die über Winden herauf und herunter gezogen werden können. Führungsvorrichtungen stellen sicher, dass die Gewichte dabei nicht schwingen und den Schacht beschädigen.
Überschüssiger Strom aus einer Photovoltaik- oder Windkraftanlage treibt die Motoren der Winden an, um die Gewichte von unten an die Oberfläche zu befördern. Wird hingegen zu wenig Strom produziert, dann läuft der Prozess in umgekehrter Richtung. Die Gewichte werden heruntergelassen, und die dabei freiwerdende Energie wird in elektrischen Strom umgewandelt, d.h. die Winden arbeiten als Generatoren. Dabei kann nach Schätzung der Ingenieure bis zu 90 Prozent der eingespeisten Energie wieder genutzt werden.
Je größer die Fallhöhe und je schwerer die Gewichte, desto mehr Energie kann gespeichert werden. Die Graviticity-Konzepte sehen für kommerzielle Anlagen in alten Bergwerksschächten ein Gesamtgewicht von 5000 bis 12000 Tonnen vor, das sich zwecks höherer Flexibilität auf mehrere zylindrisch geformte Elemente verteilen würde. Abhängig vom Gewicht, der Höhe und der Geschwindigkeit der Abwärtsbewegung könnten so Spitzenleistungen von 1 bis 20 Megawatt erzielt werden.
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So könnte das Gravitricity-System aussehen (Grafik: Gravitricity) |
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Ein erstes Testsystem mit einer Leistung von 250 Kilowatt soll im Frühjahr 2021 in der Nähe von Edinburgh an den Start gehen. Es besteht aus einem 16 Meter hohen Stahlgerüst, an dem zwei jeweils 25 Tonnen schwere Gewichte aufgehängt werden. Für einen ersten „Full Scale“-Prototypen mit einer Leistung von 4 bis 8 Megawatt werden bereits geeignete Standorte erkundet. Gravitricity hat seine Fühler zum Beispiel nach Südafrika ausgestreckt, wo es bis zu 2 Kilometer tiefe Minenschächte gibt. In Europa ist man derzeit in Tschechien, Polen und Finnland auf der Suche.
„Gerne würden wir Deutschland dieser Liste hinzufügen“, meint Charlie Blair, Geschäftsführender Direktor von Gravitricity. Für die Neuverwendung stillgelegter Zechen im Ruhrgebiet werden derzeit vor allem Pumpspeicherwerke mit untertägigen Wasserreservoirs diskutiert (siehe Energie-Perspektiven 3/2018). Deren Realisierung würde aber mehrere hundert Millionen, wenn nicht gar ein paar Milliarden Euro verschlingen, so Blair. Die Gravitricity-Systeme kämen laut Blair bei vergleichbarer Leistung mit rund einem Zehntel an Investitionen aus. Auch versprächen sie bessere Response-Zeiten und höhere Spitzenleistungen. Sie sind relativ einfach zu konstruieren und voraussichtlich über einen Zeitraum von 50 Jahren ohne nennenswerte Verschlechterung zu betreiben. „Wir sind sehr interessiert daran, mit den verantwortlichen Gesellschaften oder Behörden ins Gespräch zu kommen, die alte Kohlenminen wiederbeleben und in eine positive Infrastruktur für das 21. Jahrhundert umwandeln möchten“, betont Blair.
Verantwortlich für Konstruktion und Fertigung der Winden ist die niederländische Firma Huisman, die weltweit am Aufbau von Offshore-Windkraftanlagen beteiligt ist. Gefördert wird das innovative Projekt von der britischen Regierung mit 640 000 Pfund. Bei einer Crowdfunding-Kampagne im Oktober 2019 wurden zudem 750 000 Pfund eingesammelt.