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Ausgabe 03/2006
Interview

Promotor der Solarforschung

Seit einem Vierteljahrhundert hat sich Professor Dr. Joachim Luther (geboren 1941 in Hannover) mit der Untersuchung regenerativer Energiequellen beschäftigt, ab 1993 als Leiter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg, das er zu einem der größten Solarforschungsinstitute Europas ausbaute. Anlässlich seines Abschieds aus diesem Amt sprach der vielfach ausgezeichnete Physiker mit „Energie-Perspektiven“ über die Zukunft der Erneuerbaren.


Prof. Dr. Joachim Luther (Foto: Fraunhofer ISE)
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Energie-Perspektiven: Seit nahezu 25 Jahren widmen Sie sich der Entwicklung erneuerbarer Energien. Was hat sich in dieser Zeit in der Forschung getan?

Luther: Der Forschung ist es zunächst auf breiter Front gelungen, die Grundlagen für die heutige Nutzung erneuerbarer Energiequellen zu schaffen. Darüber hinaus wurde und wird sowohl an einer Optimierung der heute verfügbaren Verfahren als auch an völlig neuen Konzepten der Energiekonversion erneuerbarer Energieflüsse gearbeitet.
Auf der Basis dieser wissenschaftlichen Ergebnisse konnte eine stark wachsende Industrie entstehen, die nicht nur zu einer überzeugenden technischen Nutzung erneuerbarer Energiequellen geführt hat, sondern weltweit bereits einige 100 000 zukunftsfähige Arbeitsplätze geschaffen hat.
Im Bereich der Strombereitstellung sind in Forschung und Entwicklung – neben der bewährten Wasserkraftnutzung – vor allem die Windenergiekonversion, die Photovoltaik und die solar-thermische Kraftwerkstechnologie zu nennen. Forschung im Bereich neuer Elektrizitätsnetzstrukturen war bereits sehr erfolgreich: Das Konzept der verteilten Stromerzeugung wurde entwickelt. Solche intelligenten Netze gestatten es, verteilte Stromquellen optimal in Netzte einzuspeisen, insbesondere auch bei der Kraft-Wärme-Kopplung, Fluktuationen in der Energiebereitstellung auszugleichen und Lastmanagementverfahren optimal zu implementieren.
Ein ebenso wichtiger Forschungsbereich ist das solare und energieeffiziente Bauen. Solare Brauchwassererwärmung, Heizung und Kühlung sowie die Tageslichtnutzung in Gebäuden – für alle diese Technologien wurden neue und an die Anwendungen angepasste Materialien, Komponenten und Systeme erforscht und in den Markt umgesetzt. Thermische Speicher und Wärmetransformatoren wurden entwickelt, um unterschiedliche Zeitmuster (und Temperaturniveaus) von Erzeugung und Energiebedarf aneinander anzupassen.
Gezielte Forschung im Bereich der energetischen Nutzung von Biomasse ist im Entstehen. Strom- und Wärmerzeugung sowie die Erzeugung flüssiger Energieträger (Treibstoffe) ist hier vorrangiges Ziel.

Energie-Perspektiven: Gab es besondere Meilensteine?

Luther: Das Entscheidende in den letzten 25 Jahren war, dass es aufgrund breit gefächerter Forschung und Entwicklung und energiepolitischer Strategien gelungen ist, erstens einen Markt für die erneuerbaren Energietechnologien zu schaffen, zweitens eine starke und beeindruckende Industrie zu realisieren und drittens in einigen Ländern bereits wesentlich zur Energieversorgung beizutragen.

Im Detail möchte ich exemplarisch nennen: (i) Über 20 Prozent Wirkungsgrad bei multikristallinen Silizium-Solarzellen, (ii) 40µm dünne, hoch effiziente Wafer-Silizium-Solarzellen, (iii)  III/V-Solarzellen mit über 30 Prozent Wirkungsgrad, (iv) optisch hoch selektive Cermetabsorber für die Solarthermie, (v) großflächige gaschrome optische Schalter für architektonische Anwendungen, (vi) großflächige Interferenzlithographie zur Strukturierung von Oberflächen, um deren optisches Verhalten zu modifizieren, (vii) Entwicklung effektiver Sorbentien für die Wärmetransformation. Das sind aber nur sieben von mehr als 100 Punkten, die ich nennen könnte.

Energie-Perspektiven: Von welchen Energietechnologien ist Ihrer Einschätzung nach in Zukunft am meisten zu erwarten?

Luther: Bei den Potenzialen von Energietechnologien sollte man zwischen physikalischen, ökonomisch erschließbaren und nachhaltigen ­– d.h. strikten Nachhaltigkeitskriterien genügenden – Potenzialen unterscheiden. Das größte nachhaltig erschließbare Potenzial stellt  ohne Zweifel die Solarstrahlung dar. Es ist an menschlichen Maßstäben gemessen unbegrenzt.

Energie-Perspektiven: Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung “Globale Umweltveränderungen", dem Sie angehören, hält in seinem Bericht “Welt im Wandel" einen Umbau des globalen Energiesystems hin zu mehr als 60 Prozent Solarstrom aus solarthermischen und photovoltaischen Kraftwerken bis zum Jahr 2100 – bei einem heutigen Anteil am Gesamtenergieverbrauch von weniger als einem Zehntel Promille – für möglich. Was muss geschehen, damit dieses Ziel erreicht werden kann?

Luther: Das Wichtigste ist, dass die derzeitigen jährlichen Wachstumsraten von 25 bis 30 Prozent in der Implementierung dieser Techniken über mehrere Dekaden beibehalten werden. Derzeit ist weltweit bei den genannten solaren Technologien eine Kapazität von etwa 6 000 Megawatt installiert, wie müssen aber in den 10 Terrawatt-Bereich kommen. Essentiell ist in diesem Zusammenhang die Kostenreduktion von Solarstrom. Wir sind hier aber Dank Forschung, Entwicklung und industrieller Massenfertigung auf einem guten Weg.

Energie-Perspektiven: Müssen wir auf „Durchbrüche“ hoffen oder ist eine kontinuierliche Entwicklung ausreichend?

Luther: Wir „müssen“ nicht auf grundsätzliche Durchbrüche hoffen. Auch eine inkrementale Weiterentwicklung heute bekannter Technologien lässt das oben genannte Ziel erreichen. Ich bin aber sicher, dass es auch zu weiteren fundamentalen Entdeckungen – insbesondere in der Photovoltaik – kommen wird.

Energie-Perspektiven: Wie stark könnten die erneuerbaren Energien dazu beitragen, die große Importabhängigkeit des europäischen bzw. des deutschen Energiemarktes zu senken?

Luther: Dies wird in dem Umfang geschehen, in dem die Technologien eingesetzt werden – also: Meines Erachtens in hohem Maße. Im Prinzip ist die Energieversorgung Deutschlands allein auf der Basis erneuerbarer Energiequellen möglich. Das wird man aber in einer globalisierten Welt sicherlich nicht anstreben.

Energie-Perspektiven: Und zuletzt: Wie bewerten Sie die Aussichten der Fusionsforschung?

Luther: Als jemand, der auf diesem Gebiet nicht forscht, ist für mich die energiewirtschaftliche Realisierungschance der Kernfusion schlecht einschätzbar. Wenn aber das erste kommerzielle Fusionskraftwerk erst Mitte dieses Jahrhunderts realisiert werden kann, kommt die Fusion sicherlich zu spät, um die extrem drängenden Probleme unseres derzeitigen nicht nachhaltigen Energiesystems zu lösen. Die weiter in der Zukunft liegende Energieversorgung gestaltet sich aber vermutlich mit einer Kernfusionskomponente einfacher als ohne sie.