Blick in die Zukunft
Technische Realisierbarkeit, Sicherheit und Kosten eines künftigen Fusionskraftwerks untersucht eine kürzlich erschienene europäische Studie ("European Fusion Power Plant Conceptional Study"). Aufbauend auf aktuellen Ergebnissen aus Plasmaphysik, Technologie- und Materialforschung entwickelten über hundert Wissenschaftler und Ingenieure des europäischen Fusionsprogramms vier Kraftwerksmodelle. Zum Ausloten möglicher Entwicklungen liegen ihnen unterschiedlich weit in die Zukunft greifende Extrapolationen der heutigen Physik und Technologie zugrunde.
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Schema eines Fusionskraftwerks vom Typ Tokamak (Grafik: IPP) |
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Ein Fusionskraftwerk soll – wie die Sonne – aus der Verschmelzung von Atomkernen Energie gewinnen. Dazu muss der Brennstoff, ein Plasma aus den Wasserstoffarten Deuterium und Tritium, in einem Magnetfeldkäfig berührungsfrei eingeschlossen und auf Temperaturen über 100 Millionen Grad aufgeheizt werden: Die Wasserstoffkerne verschmelzen zu Helium, es werden Neutronen frei und große Mengen von Energie. Mit 500 Megawatt erzeugter Fusionsleistung soll dies erstmals das internationale ITER-Experiment vorführen. Zusammen mit einem Physik- und Technologieprogramm wird so ein erstes Demonstrationskraftwerk vorbereitet.
Im Vergleich zu ITER reichen die beiden ersten Kraftwerksmodelle der Studie am wenigsten in die Zukunft: Die Annahmen zum Plasmaverhalten – etwa zur Stabilität – gehen nur wenig über die für ITER angesetzten Daten hinaus. Die größten Unterschiede betreffen technische Komponenten, zum Beispiel das „Blanket“: In dieser inneren Verkleidung des Plasmagefäßes werden die bei der Fusion entstehenden schnellen Neutronen abgebremst. Sie geben ihre Bewegungsenergie als Wärme an ein Kühlmittel ab und erzeugen außerdem aus Lithium den Brennstoffbestandteil Tritium.
Zur Tritiumerzeugung nutzt Modell A ein flüssiges Lithium-Blei-Gemisch, die Fusionswärme wird mit Wasser aufgenommen und weitergeleitet. Modell B besitzt ein mit Kügelchen aus Lithiumkeramik gefülltes und mit Helium gekühltes Blanket. Dies erlaubt höhere Temperaturen als Wasserkühlung – 500 statt 300 Grad Celsius – und damit höhere Wirkungsgrade für die anschließende Stromerzeugung. Beide Blanket-Varianten werden im Europäischen Fusionsprogramm entwickelt; Testversionen sollen in ITER untersucht werden.
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Magnetsystem, Plasmagefäß und Blanket von Kraftwerksmodell C: (Grafik: PPCS/Forschungszentrum Karlsruhe) |
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Das weiter in die Zukunft greifende Modell C hingegen und das eher futuristische Modell D gehen von deutlich verbesserten Plasmazuständen und leistungsstärkeren Blanket-Konzepten aus. Mit Kühlmitteltemperaturen von 700 bzw. 1100 Grad kann hier die Fusionswärme noch effizienter in Strom umgewandelt werden. Entsprechend sind die Stromkosten für Modell A am höchsten; Modell B und C wären mit 5 bis 10 Cent pro Kilowattstunde bereits wettbewerbsfähig. Das avantgardistische Modell D hat die niedrigsten Kosten.
Auch Sicherheitseigenschaften und Abfallsituation für die vier Modelle wurden untersucht: Die Sicherheitsüberlegungen gelten dem radioaktiven Tritium und den energiereichen Fusionsneutronen, welche die Wände des Plasmagefäßes aktivieren. Um die Folgen aller schweren Unfälle kennen zu lernen, wurden die beiden zeitnahen Modelle A und B genauer analysiert: Als Unfallauslöser wird der schlagartige und totale Ausfall der Kühlung angenommen; anschließend bleibt das Kraftwerk ohne jede Gegenmaßnahme sich selbst überlassen. Ergebnis: Die Störung der Betriebsbedingungen bringt über Plasmainstabilitäten den Brennvorgang sofort zum Erlöschen; die Nachwärme in den Wänden reicht nicht aus, um Bauteile stark zu schwächen oder gar zu schmelzen. Das Kraftwerk enthält auch keine andere Energiequelle, die seine Sicherheitshülle zerstören könnte. Die Hülle bleibt also stets intakt.
Untersucht wurde nun, wie viel Tritium und aktiviertes Material durch den Teperaturanstieg mobilisiert und aus der Anlage entweichen könnte. Schließlich wurde – für ungünstigste Wetterbedingungen – die daraus resultierende radioaktive Belastung am Kraftwerkszaun bestimmt: Für Modell A und B kommt man auf Werte, die weit – ein bis zwei Größenordnungen – unter der Dosis liegen, ab der eine Evakuierung der Bevölkerung in der Nähe des Kraftwerks nötig wäre. Ähnliches gilt für Modell C, die Werte für Modell D liegen nochmals deutlich niedriger. Damit haben sich die aus früheren Studien bekannten attraktiven Sicherheitseigenschaften in der neuen Studie bestätigt: Katastrophale Unfälle sind in einem Fusionskraftwerk unmöglich.
Auch die Abfallsituation wurde erneut untersucht: Das von den Fusionsneutronen aktivierte Material verliert seine Radioaktivität in allen vier Modellen relativ schnell. In hundert Jahren sinkt sie auf ein Zehntausendstel des Anfangswerts. Für das zeitnahe Modell B zum Beispiel ist hundert Jahre nach Betriebsende knapp die Hälfte des Materials nicht mehr radioaktiv und kann für beliebige Nutzung freigegeben werden. Die andere Hälfte könnte – entsprechende Techniken vorausgesetzt – rezykliert und in neuen Kraftwerken wieder verwendet werden: Eine Endlagerung wäre dann nicht nötig. Ähnliches gilt für die anderen drei Modelle.
Damit sollte, so die Studie, bereits die erste Generation kommerzieller Fusionskraftwerke – Modell A und B – bei günstigen Umwelteigenschaften wirtschaftlich akzeptabel arbeiten. Modell C und D zeigen das große Potenzial für physikalische und technologische Verbesserungen.
imi