Pionier der Fusionsforschung
Über ein Vierteljahrhundert beschäftigte sich Professor Dr. Friedrich Wagner (geb. 1943 in Pfaffenhofen/Schwaben) mit Fusionsplasmen. Ähnlich wie die Sonne soll ein Fusionskraftwerk Energie aus der Verschmelzung von Atomkernen gewinnen. Dazu muss es gelingen, den Plasma-Brennstoff – ein dünnes ionisiertes Gas – wärmeisolierend in einem Magnetfeldkäfig einzuschließen und auf über 100 Millionen Grad aufzuheizen. Zu Beginn seines Ruhestands blickt der Physiker für „Energie-Perspektiven“ zurück auf 33 Jahre Fusionsforschung.
|
Prof. Dr. Friedrich Wagner. (Foto: IPP)
|
|
|
Energie-Perspektiven: Sie kamen 1975 aus der Tieftemperaturforschung zur Fusion. Weshalb dieser Themenwechsel?
Friedrich Wagner: Bis zu meiner Post-Doktorandenzeit in den USA habe ich mich mit superfluidem Helium beschäftigt. Ein Angebot des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik 1974 nahm ich gerne an: Mitten in der ersten Energiekrise, die in den USA ja besonders spürbar war, wollte ich an Zukunftslösungen mitarbeiten.
Energie-Perspektiven: Mehrfach, zuletzt mit der Stern-Gerlach-Medaille der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, wurden Sie ausgezeichnet, vor allem für die Entdeckung des so genannten H- Regimes, eine für alle modernen Fusionsanlagen wegweisende Betriebsart. Welche anderen Ergebnisse waren wichtig?
Friedrich Wagner: In mehreren Schritten hat sich die Fusion aus ihren anfänglichen Beschränkungen herausgearbeitet. Zum Beispiel hat man Mitte der 1970er Jahre gelernt, Plasmen mit hoher Dichte in den Magnetfeldern einzuschließen. Ein Pionier dieser Entwicklung war der IPP-Tokamak Pulsator.Bei zu niedriger Dichte kann das Plasma nicht zünden – es fehlt schlicht der Brennstoff für ausreichend viele Fusionsprozesse.
In den 80er Jahren wurden magnetische „Limiter“ entwickelt. Vorher hatte man das Plasma durch massive Blenden begrenzt und am Kontakt mit dem umgebenden Plasmagefäß gehindert. Nun gelang dies berührungsfrei durch zusätzliche magnetische Felder. Schlagartig sank damit die Verunreinigung durch Wandmaterial. So wurden die inneren Regelkreise sichtbar, die das Plasmaverhalten bestimmen. Vorher war vieles durch Schmutzeffekte verdeckt. Nun zeigte sich das Plasma in seiner wahren Natur – als ein nichtlineares und selbstorganisierendes System. Damit wurde 1982 die Entdeckung des H-Regimes möglich. H steht für „High confinement“, also ein Plasmazustand mit guter Wärmeisolation.
All dies waren Ergebnisse der Anlagen vom Typ Tokamak. Aber auch die Anlagen vom alternativen Bautyp Stellarator hatten mit der Einführung der magnetischen Plasmabegrenzung – in der Garchinger Anlage Wendelstein 7-AS – ähnlich große Erfolge. Auch hier wurde nun die reine Plasmaphysik sichtbar. Hervorheben möchte ich zudem die rechnerischen Optimierungsarbeiten, die zur Konzeption der Nachfolger-Anlage Wendelstein 7-X geführt haben: Hier ist es der Plasmatheorie gelungen, das Magnetfeld numerisch an die Anforderungen eines späteren Kraftwerks anzupassenund dabei die ursprünglichen Fehler des Stellarators zu beseitigen.
|
Blick zurück in die 80er Jahre: Das Plasma in der Fusionsanlage ASDEX in Garching. (Foto: IPP) |
|
|
Energie-Perspektiven: Selbstorganisierendes Plasma – was heißt das?
Friedrich Wagner: Das Plasma folgt inneren Gesetzmäßigkeiten in einem komplexen Wechselspiel zwischen den geladenen Teilchen im Plasma und seinen magnetischen und elektrischen Feldern. Die Druck- und Stromprofile des Plasmas bestimmen zum Beispiel, ob der magnetische Einschluss stabil bleibt oder ob Instabilitäten auftreten. Diese können kleinräumig sein – etwa winzige Wirbel darstellen, die die Wärmeisolation herabsetzen – oder großräumig auf das ganze Plasma wirken.
Dabei kann das Plasma zwischen verschiedenen Zuständen wählen. Dieses nichtlineare Verhalten – vergleichbar mit Phasenübergängen – zeigte sich erstmals mit der Entdeckung des H-Regimes. Der vorherige Plasmazustand, das L-Regime (L für „Low confinement“), war für ein Kraftwerk untauglich: Je besser es gelang, die Temperatur zu erhöhen, umso schlechter wurde die Wärmeisolation. Heute wissen wir, dass die Ursache kleine Turbulenzen im Plasma sind, die Teilchen und Energie nach außen tragen. Beim Umschlag in das H-Regime entwickelt sich aus dem Turbulenzfeld eine großräumige Strömung am Plasmarand, die die turbulente Vermischung unterbricht. Eine Barriere stellt sich dem unerwünschten Transport nach außen entgegen – die Wärmeisolation verbessert sich schlagartig und im Plasmazentrum stellen sich die notwendigen hohen Temperaturen ein.
Bis zu dieser Erklärung hat es allerdings einige Zeit gedauert. Nötig waren neue Messverfahren, die den nur 10 Mikrosekunden dauernden Umschlag vom L- in das H-Regime exakt registrieren und in Einzelschritte auflösen können. Insofern gab die Entdeckung des H-Regimes auch den Startschuss für die Entwicklung verbesserter Diagnostiken. Früher konnte man in dieser Beziehung nur raten, heute kann man messen und genau beobachten.
Energie-Perspektiven: Ihre Prognose für die Zukunft?
Friedrich Wagner: Ich habe keinen Zweifel daran, dass sich die Energieproblematik weltweit verschärfen wird. Zugleich hat die Fusionsforschung heute meines Erachtens einen Wendepunkt erreicht und ist prognostizierbar geworden. Mit ITER ist das erste Testkraftwerk im Bau. Obwohl bis zu einer wirtschaftlichen Stromproduktion noch erhebliche Herausforderungen zu bewältigen sind, haben wir die Aussicht, eine ergiebige, klima- und umweltfreundliche Energiequelle zu erschließen. Immer noch ist es eine generationenübergreifende Herausforderung – das Ziel ist jedoch deutlich näher gerückt.
imi